Das Hüten - Jagen ohne Töten

Das Hüten geht weniger auf den Instinkt zurück, die eigene Familie zusammenhalten und beschützen zu wollen, als vielmehr auf den Instinkt, mögliche Beute dem Rudelchef zu zu treiben, der dann entscheidet, was mit den Tieren zu tun ist. Bei der Zucht der Hütehund-Rassen wurden die damit verbundenen Verhaltensweisen durch entsprechende Auswahl der Zuchttiere verstärkt. Nimmt man grundsätzlich Tiere in die Zucht, die einen besonders starken Trieb haben, etwas Bestimmtes zu tun, verstärken sich die dafür vorhandenen Anlagen im Laufe der Zeit. Zum Hüten gehört das Umkreisen, das Fixieren mit den Augen, das kurze Kneifen aufmüpfiger Tiere und das vor sich her Treiben. Wer einmal die Gelegenheit hat, sich einen Hüte-Wettbewerb anzuschauen, der sollte sie nutzen. Es ist wirklich ganz erstaunlich, wie systematisch und präzise erfahrene Hütehunde mit ihren Tieren umgehen.

Hütehunde durften verschiedene Farben entwickeln. Bevorzugt wurden meist schwarz-weiße, grau-weiße, merlierte oder tricolor-farbene Tiere, wohingegen Fuchsrot an der Schaf-Herde unerwünscht war, weil die Schafe oder Schäfer den Hund mit einem Fuchs hätten verwechseln können. Füchse galt es lange Zeit abzuschießen, um die Lämmer vor ihnen zu schützen. Beim Rinder-Hüten störte die rote Farbe dagegen überhaupt nicht, so dass verschiedene Altdeutsche Hütehunde, wie der Westerwälder Kuhhund und Harzer Fuchs in eben dieser gezüchtet werden konnten.

Das Umkreisen der eigenen Familie im Galopp haben meine Welpen in unserem Garten ganz von selbst begonnen und etliche Minuten lang mit Begeisterung praktiziert. Mit drei Monaten fiel Anjins Hüteinstinkt auf (Tagebuch-Eintrag vom 31.3.2000):

"Wenn alle laufen durften, war es immer Belana, die dafür sorgte, dass ich mit ihr spielte, nur mit ihr. Wenn ich so tat, als würde ich die Beißwurst werfen, lief Belana in die vermutete Richtung vor. Wenn ich mich auf der Stelle drehte und wiederholt so tat, als würde ich werfen, begann sie auf einer sternförmigen Bahn um mich herum zu sausen. Während Aron, Gladess und Arabelle neben mir stehen blieben und abwarteten, sauste Anjin auf einer äußeren Kreisbahn in schnellem Galopp um uns herum. Das hielt sie jeweils erstaunlich viele Runden durch, allerdings nur, wenn ich mich rechts herum drehte. Sie scheint nur Rechtsgalopp zu mögen. Andersherum müsste sie Linksgalopp nehmen. Da lief sie lieber kreuz und quer zwischen den anderen durch. Anjin hatte keine wirkliche Chance, Belana die Beißwurst abzunehmen, aber das Herumrennen um uns auf der Kreisbahn schien ihr zu gefallen. Ich denke, dass sich hierin altes Hütehunderbe zeigt. Anjin wäre prädestiniert, eines Tages 80 km Tagesleistung durch rund um die Herde Laufen zu bringen."

Da ich es immer gut finde, wenn meine Hunde sich kräftig bewegen, förderte ich dieses Verhalten, indem ich es mit "Fein, Galopp!" lobte und immer öfter provozierte. Mit vier Monaten konnte ich meine Welpen Anjin und Arabelle bereits mit einer Handbewegung auf eine Kreisbahn schicken, und das auch in fremder Umgebung (Tagebuch-Eintrag vom 5.4.2000):

"Am dritten Ziel bewies ich, dass ich meine Welpen longieren kann. Das Gespräch war gerade auf das Longieren eines Jungpferdes gekommen, das mit zwei Jahren an der Longe spielerisch an Kommandos herangeführt wird. Spaßeshalber ließ ich die Leinen meiner Welpen so lang wie möglich, stellte mich selbst in die Mitte vom Hof, hob die rechte Hand, als hätte ich etwas zum Werfen in ihr, zeigte mit der Linken, in der ich die Leinen hielt, in die Richtung, in die ich die Welpen haben wollte und sagte: 'Fein, Anjin, Galopp!'. Die Situation war genau die, in der Anjin zu Hause im Garten immer selbst zu rotieren anfängt. Es funktionierte! Sie begann im Rechtsgalopp um mich herum zu rennen. Arabelle, die sich etwas wunderte, wohin die Schwester wohl wollte, folgte dicht neben ihr an einer etwas kürzer gehaltenen Leine. Sah niedlich aus! Mehrere Runden ließ ich die beiden so um mich herumsausen, rief sie dann mit 'Hier, hier!' heran und belohnte sie mit je einem Leckerli."

Später genügte mir diese Handbewegung, mit der ich Anjins Umkreisen einleitete, um aus dem "Voran!" mit vor mir herjoggenden Hunden "Hinter mir!" durchzusetzen: Anjin zog alle vier Rudelmitglieder auf einem enger werdenden Dreiviertel-Kreis um mich herum, während ich die lange Gummileine kürzer nahm und in Schleifen legte.

Arabelle entwickelte eine besondere Vorliebe dafür, Mutter oder Schwester festzuhalten (Tagebuch-Eintrag vom 13.8.2000):

"Obwohl der Tag extrem heiß war, rannten Anjin und - auf ihrer inneren Kreisbahn - Arabelle unermüdlich um unser Rudel herum, während ich von der Mitte aus gelegentlich ein Hölzchen für Belana warf. Während Belana erwartungsvoll vor mir auf und nieder hüpft, kommt es vor, dass Arabelle ihr in den Pelz beißt und sie festhält. Hätten wir Schafe, könnten wir diesen Griff sicher für etwas Sinnvolles instrumentalisieren. So veranlasst er lediglich Belana mal kurz ein ärgerliches 'Wuff!' zu äußern..."

Wächst ein Hund als Einzelhund in einer Familie auf, versucht er dieses Festhalten möglicherweise an Fersen, Waden oder Hosenbeinen, was natürlich streng zu unterbinden ist.

Drei Tage, nachdem ich unser damals neun Monate altes "Baby" Anders zurück genommen hatte, stellte ich fest (Tagebuch-Eintrag vom 7.9.2000):

"Das 'Hüten' ist eine Beschäftigung, die auch Anders schon als ganz kleiner Welpe liebte und die nun mit Leckerligaben zwischendurch gefördert wird."

Vier Tage später notierte ich:

"... In den Freilaufphasen rannten Arabelle innen und Anders weiter außen gegen den Uhrzeigersinn um uns herum, Anjin wie immer im Uhrzeigersinn noch weiter außen. Anjin ist meist im Galopp. Arabelle ist das meist nicht, weil sie zu faul ist, und Anders fehlt ohnehin noch die Kondition dafür. Also trabte er. Ich verstärkte die Kreisbahn-Rennerei durch gelegentliche Leckerlis. Anjin hatte kaum Zeit, während des Galopps an meiner Hand vorbei zu kommen und sich das Leckerli zu greifen und währende des Weiterrennens zu fressen, während Arabelle und Anders auch ganz gerne mal eine kurze Sitz-Pause neben mir einlegten, um ihre Belohnung entgegenzunehmen."

Tagebuch-Eintrag vom 11.5.2001:

"Anders will immer alle zusammenhalten. Das fällt auf Spaziergängen auf, wenn wir nicht alle in unmittelbarer Nähe zueinander laufen oder am Aufgang zum Freigehege, wenn ich (oder ein anderes Rudelmitglied) erst einmal unten bleibe. Anders kehrt dann um und fordert die oder den Zurückbleibenden lautstark zum Mitkommen auf. Manchmal zeigen auch die Schwestern dieses Verhalten, aber meist ist Anders der Anstifter. Insofern ist ein Teil des Startgebells als 'Kommt alle mit!' zu verstehen. Inwieweit dieses Verhalten nun gerade bei Anders mit alten Verlassenheitsängsten oder einer unsicheren Persönlichkeit zu tun hat, weiß ich nicht. Andererseits ist es vielleicht einfach der stark ausgeprägte Instinkt eines Hütehundes. Immerhin hat er es schon vor seinem Verkauf geliebt, um Familienmitglieder herum zu sausen, sie also zu 'hüten'."