Das Beschützen - Herdenschutzhunde

Der große Unterschied zwischen Herdenschutzhunden und Hütehunden ist der, dass die Hütehunde auf den Schäfer geprägt sind und die Herdenschutzhunde auf die Schafe. Während es sich bei Letzteren um große, starke Tiere handelt, die als Welpen zwischen Lämmern aufwachsen und später völlig selbständig die Verteidigung gegen Wölfe und Bären übernehmen, entstanden Hütehunde in Gebieten, in denen Wolf und Bär bereits ausgestorben waren, so dass die Hunde kleiner, aber umso flinker gezüchtet wurden. Im Auftrag des Schäfers erledigen sie viele "Feinarbeiten" an der wandernden oder auf Pferche zu verteilenden Herde. Herdenschutzhunde sind meist wie die Schafe weiß, damit der Schäfer, wenn er mit der Flinte eingreift, um angreifende Wölfe zu töten, auch in trübem Dämmerlicht nicht versehentlich auf eines seiner Tiere schießt.

Das Beschützen eigener Familienmitglieder und/oder des eigenen Reviers hat schon viele Beiß-Unfälle verursacht – nicht nur mit Herdenschutzhunden. "Wehrtrieb" nennt man diese Veranlagung, obwohl es nicht wirklich ein Trieb ist, eher eine niedrige Reizschwelle in (vermeindlichen) Angriffssituationen.

Dass auch meine Collies noch Beschützerinstinkte haben, wurde mir in verschiedenen Situationen bewiesen. Selbst meine liebe Gladess überraschte mich eines Tages in dieser Hinsicht. Ich war mit ihr auf dem Heimweg vom Forst und hatte nähe Behindertenheim plötzlich einen Begleiter mehr. Ein offenbar geistig behinderter Junge, der allerdings einen Kopf größer als ich war, begann mit mir ein Gespräch. Ich versuchte, ihm zu folgen und nett darauf einzugehen. Offenbar erschien ich ihm etwas zu nett, denn er legte mir bald seinen Arm um die Schulter und wollte, dass ich ihn unbedingt in sein Zimmer begleiten solle. So war das nicht gemeint ... er schien mir nicht zuzuhören. Die Situation wurde mir unangenehm und während ich überlegte, wie ich da möglichst elegant wieder raus käme, ohne ihm wehzutun, baute sich Gladess vor uns auf, sträubte die Haare im Genick und auf der Kruppe, so dass sie 10 cm hoch abstanden und ihr eine kamelartige Figur verliehen. Sie knurrte und fletschte die Zähne. "Siehste, die mag das jetzt auch nicht!", sagte ich meinem Begleiter, der plötzlich verstand. Sobald er mich losließ und sich verabschiedete, war Gladess wieder die Ruhe selbst und spazierte so wie immer vor mir her. Gladess schien meine Unsicherheit gewittert zu haben.

Den Beschützerinstinkt von Aron und Belana lernte ich an dem Tag kennen, als ich ihren dritten Welpen abgab (Tagebuch-Eintrag vom 29.2.2000):

"Heute verabschiedete ich mich von meinem kleinen Rüden Algor, der eine sehr nette Wuppertaler Familie mit drei Kindern und großem Garten gefunden hat. Ich hatte die ganze Familie im Garten und auch Aron und Belana spielten ausgelassen mit dem fremden "Besuch!". Aron und Belana waren gut drauf und ahnten nichts Böses. Nachdem ich jedoch die Familie und Algor zum Auto begleitet und verabschiedet hatte und ohne Algor zurückkam, wussten Aron und Belana genau, dass sie wieder ein Baby verloren hatten.

Als wenig später Anders neue Familie zu Besuch kam, zunächst noch ohne Anders mit hereinzubringen, wollte Belana auf die Leute losgehen. So aggressiv hab ich sie noch nie erlebt! Mit "Platz!" und "Ab in die Hütte!" konnte ich meinen Besuch schützen. Auch Aron war in Angriffsstimmung. Ich schickte ihn gleich mit in die Hütte und verschloss die Tür. Es war unmöglich, in dieser Situation "Ruh!" durchzusetzen. Der Uhrzeit nach war es aber auch kein Problem, dass mal gebellt wurde. Ich ließ dann Anders dazuholen. Anders begrüßte mich wie gestern mit einem Sprung in meine Arme! Er ist wirklich ein süßer Kerl. Nun meinte ich, die Wiedersehensfreude müsste Belana umstimmen, doch war sie, jetzt erst recht, bereit, ihre Babys zu verteidigen und ich musste sie ganz schnell wieder in die Hütte stecken, um den Besuch zu schützen. Schade. Anders klebte an der Gittertür und kam an seine Mama nicht ran. Ich nahm ihn wieder auf den Arm und trug ihn schnell beiseite, um ihn abzulenken, was gut funktionierte.

Aron und Belana kann ich gut verstehen. Mussten sie doch gerade erst erleben, wie eines ihrer Babys weggenommen wurde. Sie wären jetzt bereit gewesen, meine Kommandos zu übergehen und um ihre Babys zu kämpfen. Offenbar versagt die menschliche Chefin ja, wenn es um die Verteidigung der Babys geht! In der Natur der Wölfe liegt es, dass solche Handlungs- oder Instinkt-Ausfälle des Alpha-Tieres durch Leistungen rangniedrigerer Rudelmitglieder kompensiert werden, auch wenn sie den Chef ansonsten weiterhin voll akzeptieren. Genau die Situation hatte ich hier.

Man liest oft, dass der Wehrtrieb der Mutterhündin acht Wochen nach der Geburt der Welpen soweit zurückgegangen ist, dass sie sich friedlich und freundlich die Welpen wegnehmen lässt, ohne darunter zu leiden. Bei meinen Elterntieren habe ich das Gefühl, dass dem nicht so ist. Die Welpen sind jetzt 12 Wochen alt und gehören ganz klar zum 'Rudel'. Vielleicht liegt es an den Besonderheiten der Hütehunde, die ja immer besonders darauf bedacht sind, ihre Familie zusammen zu halten, dass Aron und Belana eben doch unter jeder Welpenabgabe leiden und diese sogar durch einen Kampf gegen die fremden Menschen zu verhindern versuchen würden."

Am folgenden Tag beobachtete ich:

"Aron und Belana merkte man nichts an. Bis 10:00 Uhr hatten die kleinen Mädchen jedoch kaum Lust, raus zu gehen. Es schien, als warteten sie auf ihre Brüder. Anjin hat am liebsten mit Algor gespielt, Arabelle mit Anders. Beide kamen nicht wieder. Arme Welpen! Das Wetter war auch danach. Es regnete. Danach war leise spielen angesagt. Obwohl sie sich fröhlich jagten, gab es keine Situation, in der ich 'Ruh!' hätte durchsetzen müssen. Es ist bei uns wirklich sehr ruhig geworden, ohne die kleinen Rüden ..."

Aron verteidigt seine Familienmitglieder auch gegen fremde Hunde, wenn er den Bedarf sieht (Tagebuch-Eintrag vom 15.10.2000):

"Wir fuhren heute Nachmittag ins Auslaufgebiet, um unsere Collies mal wieder so richtig herumrennen zu lassen. Anjin sauste wieder zu jedem fremden Hund hin und versuchte, ihn in die Flucht zu kläffen. Die meisten Hunde ignorierten sie und blieben absolut cool. Nur ein fast weißer, mittelgroßer Spitz wurde böse und drehte den Spieß um. Er kam nur nicht weit bei seinem Versuch, Anjin zu jagen, da schnitt Aron ihm den Weg ab und griff ihn bei der Mähne. Sein Frauchen kreischte entsetzt auf. Hätte sich der Kleine sofort ergeben, wäre die Show schnell beendet gewesen. Da er aber zu kämpfen begann, was mit blutigen Stellen hätte enden können, mischte ich mich ein, nahm Aron von hinten bei der Mähne, richtete ihn auf die Hinterpfoten auf, so dass der Kleine zu Frauchen flüchten konnte und schimpfte kurz 'Pfui ist das!'. Die Spitz-Besitzer waren immer noch völlig aufgelöst. Außer geringfügigem Zahnfleischbluten, was jedoch auch vom vorangegangenen Stöckchen Apportieren oder Tannenzapfenkauen kommen konnte, war nichts zu finden. Wie Collies sind Spitze durch ihre mächtige Mähne gut gegen Angriffe geschützt. Außerdem hat Aron nie die Absicht, einen anderen Hund zu verletzen, sondern lediglich, ihn unterzuordnen. Folglich beißt er bei so etwas längst nicht so feste zu, wie er könnte. Dass Aron seine Rudelmitglieder verteidigt, wenn er sie in Gefahr sieht, ist eigentlich ein netter Zug von ihm und beweist einmal mehr, dass die wölfischen Instinkte bei meinen Hunden noch recht gut erhalten sind."

Natürlich sollte man als Hundebesitzer immer bestrebt sein, gefährliche Situationen zu vermeiden. Insofern wäre es verantwortungsbewusster gewesen, nicht mit einer ganzen Hundefamilie gleichzeitig die öffentliche Hundewiese zu besuchen.