Hunde stammen von jagenden Raubtieren ab. Das verrät bereits ihr Gebiss mit Fangzähnen und Reißzähnen.
Die Liebe zur Natur, zu grünen Wiesen, zu jagdbarem Wild, zu Schneeflocken und Waldboden unterscheidet (leider!) die meisten Hunde bereits von ihren Besitzern. Sie interessiert alles, was so kreucht und fleucht, von der Schnake bis zum Hirsch. Den Jagdtrieb unter Kontrolle zu behalten und auf sinnvolle Ersatzwege zu lenken, ist eine der großen Aufgaben, mit denen man in der Hundeerziehung konfrontiert ist.
Freies Herumstreunen kommt bei Jägern und Förstern nicht gut an. Viele Hunde wurden deshalb schon abgeschossen – z. T. sogar unweit ihrer Besitzer! Die Rechtmäßigkeit des Abschusses kann nachträglich infrage gestellt werden. Dem erschossenen Hund nützt das nicht mehr. Achten Sie auf die geltenden Bestimmungen v. a. zur Brut- und Setzzeit! Diese liegt in Niedersachsen zwischen dem 1. April und dem 15. Juli. Hunde müssen in dieser Zeit "in Wald und Flur", also überall außerhalb der Ortschaften, in Waldgebieten sowie zwischen Wiesen und Feldern angeleint bleiben.
Schlecht sozialisierte und falsch gehaltene bzw. geführte Hunde verursachen schlimme Beißunfälle, wenn sie einen Menschen als Feind oder Beute einstufen. Vor allem bei solchen Hunden, die kaum oder keine Kinder kennen, kann es plötzlich zur Jagd auf Kinder kommen. Für alte Menschen besteht ebenfalls ein erhöhtes Risiko.
Auch übersteigertes Beutefangverhalten hatte schon schlimme Folgen. Übersteigertes Beutefangverhalten tritt meiner Beobachtung nach besonders bei Vertretern von Hunderassen auf, die für den Wach- und Schutzdienst gezüchtet werden. Wenn sich Eltern kleiner Kinder ausgerechnet für einen Deutschen Schäferhund, Malinois, Rottweiler oder Dobermann entscheiden, finde ich das schon etwas verantwortungslos. Manche Hunde packen bereits zu, wenn jemand stürzt. Nicht selten erwischt es ein Mitglied der Hundehalter-Familie. Hier ist aber auch eine Umorientierung in der Zucht, weg vom "Packer", hin zum nervenstarken, ausgeglichenen Familienhund, längst überfällig. Wesenstests sollten während der Zuchttauglichkeitsprüfung aller mindestens mittelgroßen Hunde Pflicht werden. Die Feststellung eines solchen übersteigerten Beutetriebs muss zu Zuchtausschluss führen.
Die für Hütehunde ursprünglich typische, zum Schutz von Vieh und Wolle angezüchtete, verstärkte Beißhemmung rettete bei uns einmal das Leben einer Jung-Amsel (Tagebuch-Eintrag vom 20.6.2001):
"... Auf unserem Abendspaziergang griffen sich die Junghunde trotz der Leinen eine junge Amsel aus dem hohen Gras am Wegesrand, die ich erst als eine solche erkannte, als sie aus Anjins Fang zu flattern versuchte. Die fünf Hunde rannten aufgeregt vor mir her und vier versuchten Anjin die Beute abzujagen. Schließlich legte Anjin ihre Beute kurz auf dem Boden ab und Arabelle schnappte sie. Ich rief zwar vergeblich 'Aus!', wagte es aber nicht, mir den Vogel gewaltsam zu nehmen, da ich festeres Zupacken (Tauziehen!) befürchtete. Als Arabelle den zappelnden Vogel kurz ablegte, um ihn anders zu greifen, war ich schneller. Der Vogel wirkte zwar etwas geschockt, aber unverletzt, jedenfalls äußerlich. Ich sorgte dafür, dass er wieder unbehelligt im Gras herumhüpfen konnte. Hoffentlich stören sich seine Eltern nicht am Hundgeruch seines Gefieders und versorgen ihn weiter. Ich freue mich darüber, Hunde mit einer so ausgeprägten Beißhemmung zu haben!"
Aber es gab auch andere Erfahrungen mit Beutetieren (Tagebuch-Einträge vom 13. und 15.9.2001):
"... Arabelle schaffte es auf unserem Nachmittags-Spaziergang trotz kurzer Leine und ohne stehen zu bleiben, am Wegrand eine Maus zu fangen. Fünf Pinzettenschnauzen im Gras ließen dem Tierchen keinen Ausweg. Die flinke Arabelle schnappte sich die Beute. Sie piepste noch einmal kurz und dann war Ruhe in Arabelles Fang. Ich ließ das ganze Rudel kräftig rennen, damit es nicht zum Streit um Arabelles Beute kommen konnte. Als wir wieder langsamer wurden, hechelte Arabelle wie die anderen. Sie hatte die Maus eine Weile gekaut und dann geschluckt."
"Obwohl die Hunde den ganzen Weg lang angeleint waren, schaffte es Anders zwischendurch, sich eine Amsel vom Wegrand zu greifen. Sie war möglicherweise schon verletzt, als er sie aufnahm und im nächsten Moment tot. Er hielt sie sehr fest aus Angst vor dem Futterneid seiner Familienmitglieder und fraß sie während des Weitergehens. Die langen, harten Schwungfedern und Schwanzfedern ließ er größtenteils übrig, indem er während des Laufens seine Vorderpfoten gezielt auf sie setzte. Trotzdem erbrach er seine Beute zu Hause, um sie noch einmal gründlicher zu kauen und weitere Federn auszusortieren. Ich schaffte es während seiner Würgephase, ihn auf den Gang hinaus ins Freigehege zu schicken, so dass er drinnen nichts beschmutzte."
Langsame Tiere, wie Schnecken und Salamander wecken gar nicht erst den Beutetrieb (Tagebuch-Eintrag vom 27.10.2001):
"... Kurz bevor wir wieder zu Hause waren, hatten wir eine friedliche Begegnung mit einem Salamander. Er wurde von meinen Hunden entdeckt. Da es schon fast dunkel war, bemerkte ich ihn nur, weil Belana plötzlich stehen blieb, um an ihm zu schnuppern. Auch Anders schnupperte. Es interessierte sie nicht weiter. Auch eine gewisse Langsamkeit, wie sie für die Bewegung der Salamander typisch ist, kann eine Überlebensstrategie sein. Dazu kommt das Hautsekret, das bei diesen Tieren giftig ist und für Hundenasen wohl nicht sehr attraktiv riecht."
Nachträgliche Anmerkung: Es gab schon übermäßig gefräßige, unkritisch-hastig agierende Hunde, die einen Salamander verschluckten und an seinem Gift starben.
Schließlich möchte ich noch auf den alten Irrglauben eingehen, Hütehunde würden nicht jagen. Auch Hütehunde hetzen gerne. Hütetrieb ist Jagdtrieb ohne Töten. Der Hetztrieb ist noch drin. Ein gehetztes Reh kann in einen Zaun geraten und dort schwer verunglücken oder auf Eis oder Matsch ausrutschen und sich die Beine brechen. Ein gehetzter und in Panik geratener Fahrradfahrer kann böse stürzen. Selbst dann, wenn der Hund nicht zupackt, ist ein tragischer Ausgang einer solchen Hetzjagd möglich.
Um dem Hund auch ohne Beute machen zu dürfen ein artgerechtes Leben zu ermöglichen, gibt es Beißwürste, Tauziehknoten und Spielsachen mit Schlaufen, die Apportieren und spielerisches Beutestreiten in Form von Zergeln und Tauziehen erlauben. Wer seinen Hund von Anfang an mit solchen Ersatzbeute-Spielchen belohnt, hat die Chance, ihn so auf sich selbst und diese Spielsachen zu fixieren, dass andere Formen der Jagd von ihm gar nicht erst entdeckt werden. Dazu gehört allerdings auch, dass der Hund nicht versehentlich doch mal in den Genuss des Hetzens kommt. Eine tolle Hetzerfahrung bereits ist genug, um aus dem sonst doch so braven Hund einen unsicheren Kandidaten zu machen. Insofern lebt der Hund und alles Jagdbare um ihn herum am sichersten, wenn er an der Leine bleibt, wo entsprechende Verleitungen zu erwarten sind.