Hundliches Ampelsystem

Betrachten wir einmal genauer, wie ein älterer, ranghöherer Hund einem Junghund Einhalt gebietet, der gerade eingezogen ist.

Der ältere Hund liegt vielleicht auf seinem Lieblingsplatz und will seine Ruhe haben. Der junge Hund kommt ihm - aus seiner Sicht - zu nahe. Der ältere Hund signalisiert mit Drohfixieren und leisem Knurren: "Wage es nicht, mir näher zu kommen!" - noch ist die Ampel GRÜN. Hat der junge Hund genügend Respekt, wird er sich abwenden und woanders hingehen.

Vielleicht nimmt er die Drohung aber auch nicht ernst und macht die nächsten Schritte auf das Lager des alten Hundes zu. Nun wird sich der alte Hund erheben, vielleicht sogar einen Satz nach vorne auf den Jungspunt zu machen, die Lefzen hochziehen und deutlicher knurren: "Ich bin hier Chef! Hab was gesagt! Komm noch einen Schritt näher und ich zeig's Dir!" - GELBE Ampelphase. Der junge Hund hat noch die Chance, sich demütig und ungestraft abzuwenden. Vielleicht beschwichtigt er jetzt und geht auf Distanz.

Nimmt er den Alten aber immer noch nicht ernst und geht, wenn auch etwas unsicher und demütig, weiter auf  ihn zu, wird dieser sicher nicht damit zufrieden sein, dass er den Kleinen etwas abgebremst hat. Nein, er wird seine Drohung ernst machen. Wahrscheinlich folgt eine schnelle Bewegung auf den Jungspunt zu und ein Zwicken, was durchaus weh tun soll. Fangumfassen oder unsanft auf den Rücken drehen kommt auch vor - ROTE Ampelphase. Der Jungspunt wird schreien und, wenn möglich, flüchten.

Während der zurechtgewiesene Jungspunt nun in gebührender Distanz noch ein wenig vor sich hin leidet, legt sich der alte Hund in aller Ruhe wieder auf sein Lager. Die Ruhe überträgt sich auf das Jungtier. Wahrscheinlich wird es auch einschlafen.

Wenn der Jungspunt das nächste Mal den Unmut des alten Hundes erregt, wird nach dieser Erfahrung wahrscheinlich schon Ampelphase GRÜN ausreichen, um ihn zu korrigieren. So wird der alte Hund wahrscheinlich nicht wollen, dass der Jungspunt ihn auf einem Spaziergang überholt. Akzeptiert dieser die Regel, wird der Alte mit dem Respekt zufrieden sein und ihn vielleicht zum Spielen auffordern oder sogar dessen Spielaufforderung nachkommen.

Der alte Hund schränkt den jungen also zunächst in seiner Bewegungsfreiheit ein und fordert ggf. über das Ampelsystem Respekt ein. Bekommt er genügend Respekt in allen ihm wichtigen Bereichen entgegengebracht, zeigt er Sympathie und lässt Sozialkontakt zu. Bis dahin können zwei Wochen vergangen sein. Instinktnormale Hunde kommen so mit einem Minimum an Aggressionsverhalten untereinander klar.

Menschen zeigen dagegen oft noch eine ganz andere Phase, nennen wir sie die SCHWARZE Phase, die hochemotional und oft richtig aggressiv ist. Zu dieser kommt es, weil sie nicht gelernt haben, die hundlichen Ampelphasen angemessen anzuwenden. Sie zeigen dem zu korrigierenden Hund  GRÜN,  GRÜN,  GRÜN,  GRÜN,  GRÜN, GELB, GELB, GELB, GELB, GELB, GELB, GELB, GELB, GELB, GELB, SCHWARZ.

Ihnen platzt irgendwann der Kragen, da der "blöde Hund" sie anscheinend nicht verstehen will. Es folgt irgendeine völlig überzogene Reaktion wie mit der Leine wegreißen, draufhauen, anbrüllen, was auch immer, was dem Hund nicht etwa Respekt einflößt, sondern ihm beweist: "Dieser Mensch kann kein Chef sein. Der ist so unberechenbar, dass ich mich nicht auf ihn verlassen kann!" Armer Hund. Er wird weiterhin alleine entscheiden müssen, was in welcher Situation das beste ist.

Was können wir daraus lernen? Ich denke, wir sollten uns dem Hund gegenüber klar und deutlich auszudrücken, ihn nicht lange zuquatschen, sondern nach einem ignorierten Befehl oder "Nein!" (GRÜN) sofort Grenzen aufzeigen (GELB) und uns ggf. durchsetzen, ohne dabei wütend und für den Hund unberechenbar zu werden (ROT). Spontanes, angemessenes Einwirken ist der Schlüssel zum Erfolg. Dabei ist nicht immer alles über rein positive Konditionierung erreichbar. Der Hund verzeiht eine negative Einwirkung, ohne das Vertrauen zu verlieren, wenn sie selten genug vorkommt und nicht unverhältnismäßig ist.